Stress verstehen

Stress ist keine Erfindung der Moderne. Er ist ein uraltes Überlebensprogramm, das uns in Gefahrensituationen schützt. Problematisch wird er erst, wenn er nicht mehr aufhört.

Heller Raum zum Durchatmen

Wenn wir Stress empfinden, passiert im Körper etwas Bemerkenswertes. Innerhalb von Millisekunden schaltet das Nervensystem in einen anderen Modus. Die Nebennieren schütten Adrenalin und Cortisol aus. Der Herzschlag beschleunigt sich, die Muskeln spannen sich an, die Sinne schärfen sich. Gleichzeitig werden Funktionen heruntergefahren, die gerade nicht überlebenswichtig sind: Verdauung, Immunsystem, komplexes Denken.

Diese Reaktion ist ein Erbe unserer Vorfahren. Wer vor einem Säbelzahntiger stand, brauchte keine gute Verdauung, sondern schnelle Beine. Das Problem: Unser Nervensystem unterscheidet nicht zwischen einem Raubtier und einer kritischen E-Mail vom Chef. Es reagiert auf beides mit dem gleichen Programm. Die Gesundheitsförderung Schweiz bezeichnet Stress als eine der grössten Herausforderungen für die Volksgesundheit.

Gesunder Stress Belastung Überlastung Das Stress-Kontinuum

Stress bewegt sich auf einem Kontinuum von aktivierend bis schädlich

Akuter vs. chronischer Stress

Kurzfristiger Stress ist nicht nur harmlos, sondern sogar nützlich. Er macht uns leistungsfähig, fokussiert, handlungsbereit. Nach der Belastung kehrt der Körper in seinen Ruhezustand zurück, die Stresshormone werden abgebaut, das System erholt sich. Das ist der natürliche Rhythmus von Anspannung und Entspannung.

Chronischer Stress hingegen entsteht, wenn dieser Rhythmus gestört ist. Wenn die Erholungsphasen fehlen oder zu kurz sind. Wenn die Belastung nie wirklich aufhört. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO dokumentiert die Folgen in regelmässigen Stressstudien. Dann bleibt der Cortisolspiegel dauerhaft erhöht, und das hat Folgen: Das Immunsystem wird geschwächt, der Schlaf leidet, Entzündungsprozesse im Körper nehmen zu. Langfristig steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und eine Reihe weiterer Beschwerden.

Was im Gehirn passiert

Interessant ist, was chronischer Stress mit dem Gehirn macht. Studien zeigen, dass sich bei Dauerstress bestimmte Hirnregionen verändern. Die Amygdala, unser Angstzentrum, wird überaktiv und vergrössert sich sogar. Der präfrontale Cortex, zuständig für rationales Denken und Impulskontrolle, wird dagegen geschwächt. Das erklärt, warum gestresste Menschen oft impulsiver reagieren und sich schwerer konzentrieren können.

Die gute Nachricht: Diese Veränderungen sind nicht permanent. Das Gehirn ist plastisch. Wenn der Stress nachlässt und das Nervensystem wieder in Balance kommt, können sich die Strukturen erholen. Dafür braucht es allerdings mehr als einen einzelnen freien Tag. Es braucht eine grundlegende Veränderung im Umgang mit Belastung.

Den Stress-Kreislauf durchbrechen

Der erste Schritt ist oft das Bewusstsein. Viele Menschen bemerken gar nicht mehr, wie angespannt sie sind. Die Schultern hochgezogen, der Kiefer zusammengepresst, die Atmung flach. Der Körper im Dauermodus, ohne dass es einen akuten Grund gibt. Hier setzt bewusste Selbstfürsorge an: wahrnehmen, was ist, ohne sofort ändern zu müssen.

Langfristig geht es darum, dem Nervensystem wieder beizubringen, dass es sicher ist. Dass es sich entspannen darf. Das geschieht nicht durch Willenskraft, sondern durch Erfahrung. Durch regelmässige Momente der Ruhe, durch Bewegung, durch Verbindung mit anderen Menschen. Und manchmal durch professionelle Unterstützung, die dort ansetzt, wo der bewusste Verstand nicht hinkommt.

← Zurück zur Übersicht