Erholung lernen
In einer Welt, die Produktivität feiert, gilt Erholung oft als Zeitverschwendung. Dabei ist sie biologisch unverzichtbar. Ohne sie funktioniert auf Dauer gar nichts.
Der menschliche Körper ist nicht für Dauerbelastung gebaut. Er funktioniert in Rhythmen: Aktivität und Ruhe, Anspannung und Entspannung, Tag und Nacht. Diese Rhythmen sind tief in unserer Biologie verankert. Jede Zelle, jedes Organ, das gesamte Nervensystem folgt diesem Grundprinzip. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO weist darauf hin, dass mangelnde Erholung einer der Hauptgründe für arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme ist. Wer gegen diese Rhythmen arbeitet, zahlt früher oder später den Preis.
Das Problem ist: Viele Menschen haben verlernt, sich zu erholen. Sie sind ständig erreichbar, ständig beschäftigt, ständig unter Strom. Selbst in der Freizeit rattert der Kopf weiter. Der Körper liegt auf dem Sofa, aber das Nervensystem bleibt im Alarmmodus. Das ist keine Erholung, das ist bestenfalls Erschöpfungspause.
Gesunde Leistungsfähigkeit braucht den Wechsel zwischen Aktivierung und Regeneration
Was echte Erholung ausmacht
Echte Erholung ist mehr als die Abwesenheit von Arbeit. Sie ist ein aktiver Prozess, bei dem sich das Nervensystem von Sympathikus-Dominanz (Kampf oder Flucht) auf Parasympathikus-Dominanz (Ruhe und Verdauung) umstellt. Dieser Wechsel passiert nicht automatisch, nur weil man aufhört zu arbeiten. Er braucht bestimmte Bedingungen.
Eine davon ist Sicherheit. Das Nervensystem muss signalisiert bekommen, dass keine Gefahr droht. Das geschieht zum Beispiel durch ruhige Umgebungen, durch Kontakt mit vertrauten Menschen, durch Aktivitäten, die Freude machen ohne zu fordern. Auch der Körper spielt eine Rolle: Tiefe Atmung, entspannte Muskeln, ein ruhiger Herzschlag sagen dem Gehirn, dass alles in Ordnung ist.
Die Erholungskompetenz
Interessanterweise ist die Fähigkeit zur Erholung individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Gesundheitsförderung Schweiz forscht aktiv zu diesem Thema. Manche Menschen können innerhalb von Minuten abschalten, andere brauchen Tage, um aus dem Arbeitsmodus herauszufinden. Diese Unterschiede haben mit Persönlichkeit zu tun, aber auch mit Gewohnheit und mit dem Zustand des Nervensystems.
Menschen, die lange unter chronischem Stress standen, haben oft ein Nervensystem, das die Entspannung verlernt hat. Es bleibt im Alarmmodus stecken, auch wenn objektiv keine Gefahr besteht. In solchen Fällen reicht es nicht, einfach Urlaub zu machen. Das System muss erst wieder lernen, dass Sicherheit möglich ist. Dass es sich entspannen darf.
Erholung kultivieren
Erholung ist eine Fähigkeit, die sich trainieren lässt. Der erste Schritt ist oft, ihr überhaupt Raum zu geben. Sie nicht als Luxus zu betrachten, sondern als Notwendigkeit. Nicht als Belohnung für erledigte Arbeit, sondern als Voraussetzung für nachhaltige Leistungsfähigkeit.
Regelmässige kleine Pausen sind dabei oft wirksamer als seltene lange Urlaube. Das Nervensystem lernt durch Wiederholung. Wer täglich übt, zur Ruhe zu kommen, wird darin besser. Atemübungen, kurze Spaziergänge, bewusste Momente der Stille. Kleine Inseln der Erholung im Alltag. Und manchmal braucht es professionelle Begleitung, um festgefahrene Muster zu lösen und dem Körper wieder beizubringen, was er verlernt hat: loszulassen.
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