Angst verstehen
Angst ist eines der ältesten Gefühle. Sie hat uns als Spezies am Leben gehalten. Doch manchmal verselbstständigt sie sich und wird vom Schutz zur Last.
Im Zentrum der Angst steht eine kleine, mandelförmige Struktur tief im Gehirn: die Amygdala. Sie ist unser Frühwarnsystem, ständig auf der Suche nach potentiellen Gefahren. Wenn sie etwas als bedrohlich einstuft, löst sie innerhalb von Millisekunden eine Kaskade von Reaktionen aus, noch bevor der bewusste Verstand überhaupt begriffen hat, was passiert.
Das ist der Grund, warum wir manchmal zusammenzucken, bevor wir wissen warum. Oder warum das Herz zu rasen beginnt, obwohl rational betrachtet keine Gefahr besteht. Die Amygdala arbeitet schnell, aber nicht besonders differenziert. Sie operiert nach dem Prinzip: Lieber einmal zu viel warnen als einmal zu wenig.
Die Amygdala reagiert auf Bedrohungen schneller als der bewusste Verstand
Wenn das System überreagiert
Bei Menschen mit Angststörungen ist dieses System überempfindlich geworden. Die Amygdala schlägt Alarm bei Situationen, die objektiv nicht gefährlich sind. Ein voller Supermarkt, eine Präsentation, eine Autofahrt, ein unbestimmtes Gefühl. Der Körper reagiert mit vollem Programm: Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Atemnot. Die klassischen Symptome einer Panikattacke.
Das Tückische daran: Diese körperlichen Symptome werden selbst als bedrohlich wahrgenommen. Das Herzrasen fühlt sich an wie ein Herzinfarkt, die Atemnot wie Ersticken. So entsteht ein Teufelskreis. Die Angst vor der Angst. Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression leiden etwa 15% der Bevölkerung mindestens einmal im Leben an einer Angststörung. Viele Betroffene beginnen, Situationen zu vermeiden, in denen sie Panik erlebt haben. Kurzfristig bringt das Erleichterung, langfristig verstärkt es das Problem.
Die Rolle der Erfahrung
Angststörungen entstehen selten aus dem Nichts. Oft gibt es eine Vorgeschichte. Belastende Erlebnisse in der Kindheit, traumatische Erfahrungen, lang anhaltender Stress. All das kann die Amygdala sensibilisieren, sie quasi auf einen niedrigeren Schwellenwert einstellen. Was früher als sicher galt, wird nun als potentielle Bedrohung eingestuft.
Interessant ist auch die Rolle des Vermeidungsverhaltens. Jedes Mal, wenn wir einer angstauslösenden Situation ausweichen, lernt das Gehirn: Diese Situation ist gefährlich, gut dass wir ihr entkommen sind. Die Angst wird bestätigt und verstärkt, obwohl objektiv gar nichts passiert ist. Dieses Muster zu durchbrechen ist einer der wichtigsten Schritte in der Angstbehandlung.
Wege aus der Angst
Die gute Nachricht: Angststörungen gehören zu den am besten behandelbaren psychischen Erkrankungen. Das bestätigt auch Pro Mente Sana, die führende Schweizer Organisation für psychische Gesundheit. Das Gehirn kann umlernen. Neue Erfahrungen können die alten Muster überschreiben. Dafür braucht es allerdings mehr als gute Vorsätze. Die Amygdala reagiert nicht auf rationale Argumente. Sie reagiert auf Erfahrung, auf Körperempfindungen, auf emotionale Verarbeitung.
Deshalb setzen wirksame Therapieformen dort an. Sie schaffen einen sicheren Rahmen, um neue Erfahrungen zu machen. Um zu erleben, dass die befürchtete Katastrophe nicht eintritt. Dass der Körper wieder zur Ruhe kommen kann. Dass Sicherheit möglich ist. Wer herausfinden möchte, wie stark Angst das eigene Leben beeinflusst, kann mit einem kurzen Selbsttest beginnen.
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